Flaggenwechsel
Über Nacht sind wir Franzosen geworden. Ja, denn anstelle unserer Schweizerflagge trat die Französische und auch das Kompagniezeichen an Kamin und Heck des Schiffes haben geändert. Nur der Name des Schiffes blieb gleich. An Bord sind nur zwei oder drei von uns Unentwegten zurück geblieben, die andern haben es vorgezogen, das Schiff zu verlassen. Ich blieb auf meinem Posten als Chiefsteward aber nicht aus Nostalgie etwa oder wegen den Reisen,die wir jetzt unternehmen sollen.
Nein, mir wurde ein Vertrag angeboten, der diesem Unternehmen angepasst wurde, nämlich mit schönen Aufprämien und eine wesentlich bessere Heuer für gefährliche Fracht und nicht minder gefährlichen Fahrten. Ich hatte meine privaten Probleme an Land noch immer nicht so ganz überwunden und so dachte ich, dass dies genau das Richtige für mich wäre. Ausserdem sass mir noch der Schreck der letzen Fahrten auf diesem Schiff in den Knochen. Da hatten wir doch beinahe eine Meuterei an Bord und nur mit viel Diplomatie konnte schlimmeres verhindert werden. Mir war auch klar, dass ich mit mir völlig neuen und fremden Leuten arbeiten musste. Aber das war für mich natürlich kein unlösbares Problem. Also packte ich die Sache frohgemut, optimistisch und sehr sehr zuversichtlich an.
Also war der Koch, der Bäcker, der Messboy und der zweite Steward – sie waren alles Franzosen aus afrikanischen Kolonien und neu an Bord. Auch den Kapitän weder noch den ersten Deckoffizier (1. Steuermann) noch den ersten Maschineningenieur (Chiefengineer) noch sonst wer auf diesen Kahn kannte ich. Alles Fremde und das war gut so und entsprach genau meiner seelischer Verfassung; ich wollte anonym bleiben und niemand wusste von meinen noch nicht verarbeiteten Problemen.
Das einzige was gleich blieb war die Reederei. Sie verwaltete das Schiff weiterhin wie bisher, es war ja nur vorübergehend an eine französische Compagnie verchartert worden.
Die Fracht – was wurde da so geheimnissvoll geladen?
Was da geladen wurde, das sah ich nicht so genau, denn meistens wurde bei Nacht und gedämpften Licht geladen in einem entfernten und abgelegenen Winkel im Hafen wo es nicht allzu hell war und wo keine allzu neugierige Zuschauer uns beobachten konnten. Die meiste Ladung blieb aber auf Deck und wurde mit grossen, schwarzen und dicken Zeltplanen abgedeckt. Und die Reise sollte ja bitte, wohin gehen…….? Da gab es erstmal keine klare Antwort darauf. Und im Grunde genommen war es mir ja auch gleich. Ich hatte ja nur meinen Job auf diesem vergammelten und rostigen Seelenverkäufer zu tun und keine neugierigen Fragen zu stellen die mir ja sowieso niemand beantworten wollte, konnte oder durfte. Gerüchte kursierten ja schon über das wie, was und wohin, aber eben alles nur hinter der vorgehaltenen Hand. Einige munkelten, wir laden Munition und Sprengstoff für die französischen Kolonien in Nordafrika. Wieder andere wollten gehört haben, dass die Ladung weiter südlich gebracht werden soll. Wohl für irgendwelche afrikanische Rebellen? Nun, so aussergewöhnlich war das ja nicht, denn anfangs der sechziger Jahre waren überall Unruhen auf dem schwarzen Kontinent. (Und sind es leider auch heute noch!) Also, wozu sich darüber den Kopf zerbrechen? Und wo bräuchte man nicht Sprengstoff? Überall wird Sprengstoff verwendet, auf Baustelen zum Beispiel. Es musste ja nicht immer gleich alles zum Umbringen von Menschen gedacht und gemacht sein,oder? Auch für zivile Zwecke lässt sich doch Sprengstoff gebrauchen, oder nicht? Das war schon immer so.
In Marseilles dunklen Hafenrevieren
Mitten in der Nacht liefen wir still und leise aus dem Hafen aus. Ade, du schönes und verschwiegenes aber doch so lebenslustige Marseille. Aber es war doch so schön bei dir gewesen. Eine geheimnissvolle Stadt mit vielen Gesichtern und einer langen, sehr langen Geschichte und Tradition. Nun hatte ich Zeit, an die schöne von fröhlichem Leben pulsierende Laplanche, die Lablanche,den alten, malerischen Fischerhafen und an die stolze Canabière zu denken und davon zu träumen. Auch die Festung draussen vor dem Hafen, wo der „Graf von Monte Christo“ angeblich im tiefen, dunklen und feuchten Gefängnissverliess geschmachtet haben soll. Sehr oft war ich dort draussen, ganz alleine und konnte ungestört meinen fantasievollen Träumen nachhängen. Da sass ich dann lange und tiefsinnig auf einem Felsen der in’s kristallklare Wasser hinausragte und die kühlen Wellen umspühlten sanft meine Füsse. Aber auch das Verliess des Grafen M.C. habe ich selbstverständlich besucht. Unglaublich, wie das ein Mensch jahrelang aushält so von der Welt abgeschnitten und wie lebendig begraben zu sein!
Aber auch das Araberviertel war allerhöchst interessant! Nur, kein Taxifahrer konnte ich je dazu bringen, dort hinein zu fahren. Immer musste ich so nah wie möglich an dieses so geheimnissvolle und verrufene Stadtviertel mit einem der öffentlichen Verkehrsmittel heranfahren und dann zu Fuss weiter gehen. Aber mir geschah nie etwas. Im Gegenteil, nette Bekanntschaften bahnten sich an und ich hielt mich immer öfters und länger dort auf. Auch war das Leben dort sehr viel billiger. Marseille war ungeheuer teuer – wenigstens für einen mittellosen Seemann ohne Heuer. Ich konnte mir gerade mal eine Pizza oder unten am Fischerhafen eine Fischsuppe oder eine einfache Speise leisten. Was billig war, das war der Wein. Aber vom Wein alleine kann man ja auch nicht leben, stimmt’s oder habe ich recht?
Aber sonst war der Aufenthalt unten am alten Fischerhafen immer sehr interessant und lehrreich. Nie habe ich frischere Fische und eine grössere Auswahl als hier gesehen. Immer gab es wieder etwas Neues zu sehen und zu bestaunen. Den Händlern und den Kunden beim markten und handeln zuzuhören war zwar nicht gerade ein Ohrenschmaus weil sehr laut und lebhaft geführt, aber doch sehr unterhaltend und kurzweilig. Kurzum; es war einfach gemütlich und nie wurde es mir langweilig. Lustig waren die vielen Bistros entlang der sehr belebten Strassen und Gässchen. Da standen die Wirtinnen und Wirte vor der Tür hielten mit listigen und flinken Äuglein ausschau nach Passanten oder möglichen Kunden. Sie konnten aber auch sehr unangenehm und aufdringlich werden. Sie versprachen viel und hielten wenig (was dann auf den Tellern war) ja, sie zerrten einem regelrecht in’s meist so ziemlich schummerige und leicht schlampige Lokal hinein. Eine Bouillabaisse und ein Glas Wein dazu gratis. Meistens war aber die Fischsuppe total verkocht und es schwammen mehr Gräte und Hautfetzen als Fischfleischstücke in der trüben Brühe darin. Und meistens war viel zu viel billigen Saffran beigegeben um den nicht immer so frischen und feinen Eigengeschmack der Suppe zu überdecken. Aber, es schmeckte mir trotzdem. Ich will ja nicht allzu sehr Gourment sein, oder? Wichtig ist doch auch die Umgebung. Man muss ihn einfach erlebt haben, den alten Fischereihafen von Marseille und seine Menschen.