Als „neuer“ Seemann an Board

Klar, über Seekrankheit hatten wir gesprochen und gelesen, aber dass es mich so schnell treffen sollte, war mir nicht klar. Ich hatte von meiner Mutter den Tipp erhalten, Tabletten gegen Reisekrankheit zu kaufen. Aber diese lagen in meiner Kammer, sicher versteckt, denn keiner sollte mitbekommen, dass ich solches Zeug nehme.

Ich war ja jetzt ein Seemann.

Ich sah auch keine Möglichkeit an diese jetzt zu kommen. Meine Kollegen bekamen natürlich mit, wie schlecht es mir ging. Ich sah aber kein Mitleid in ihren Gesichtern und verfluchte diese komischen Kollegen. Wenn der II. Ingenieur erfahren hätte, was ich über ihn in dieser Zeit gedacht habe, er hätte mich sicherlich über das Schanzkleid geworfen.

Der Dieselgeruch im Maschinenraum, der Krach der 4 Hauptmotoren und das Schaukeln des Schiffes machten mir stark zu schaffen. Mir war das alles zuviel! Ich wollte nach Hause, ich wollte an Land, festen Boden unter den Füßen haben. Ich war ohne Halt, ohne Gefühl. Ich verfluchte den Tag, an dem ich auf die Idee kam, zur See zu fahren. Auf einem Ventilrad, unter einem Frischluftlüfter sitzend, versuchte ich, Ruhe und Halt zu bekommen. Teilnahmslos ließ ich alles an mir vorbeigehen. Ich wollte kein Seemann mehr sein. Mein Magen war leer und der Inhalt landete in der Bilge.

Mir war es egal, ich konnte nichts mehr halten oder koordinieren.

Damals war ich noch dünn...

Damals war ich noch dünn…

Auf Weisung des Wachingenieurs sollte ich mich am Fahrstand einfinden. Dort versuchte er mir zu erklären, dass ich einen Kompassschlüssel zur Kommandobrücke bringen müsse, da der Kompass dort aus der Führung gesprungen war. Irgend jemand legte mir einen sehr großen Maulschlüssel auf meine Schulter und führte mich zum Niedergang (Treppe). Ich weiß nicht mehr, wie ich den Weg vom Maschinenraum zum Vorschiff geschafft habe. Das ich mich mehrmals übergeben musste, weiß ich aber noch. Irgendwie hatte ich es doch geschafft. Ich kam auf der Brücke an. Der große Maulschlüssel fand sein Ziel. Kurz und mit einem gewissen Lächeln, erklärte man mir dort, dass sich die Reparatur erledigt hatte. Man benötigt das Werkzeug nicht mehr. Was blieb mir anders übrig, als den Weg zurück anzutreten? Als ich im Maschinenraum ankam, konnte ich keine Erklärung mehr abgeben.

Ich wollte nur noch sterben.

Irgendwie fand ich mich in meiner Koje wieder, verzweifelt an Kojenrand und Wand versuchend, mich festzuhalten. Die Augen konnte ich nicht schließen, da ich das Karussellfahren nicht vertragen konnte. Natürlich erfuhr ich später, dass die Sache  mit dem Kompassschlüssel alle Neuen durchmachen mussten. Nur gut, dass man erkannt hatte, dass ich extrem stark mit der Seekrankheit zu kämpfen hatte. Ein Kollege überwachte meinen Weg bis zur Brücke und zurück. Bemerkt hatte ich ihn nicht. Wie sollte ich auch, ich war doch schon fast tot.

Natürlich gibt es keinen Kompassschlüssel in dieser extremen Größenordnung. Und es war üblich, „neue Seemänner“ mit diesem Späßchen zu beschäftigen. Mein Pech war, dass ich gerade noch dieses schlechte Wetter abfasste. Jedenfalls war ich in Hamburg wieder fit und alles, was ich Sachen Seekrankheit durchgemacht hatte, war Vergangenheit.

Ich war ja schließlich Seemann.

Meine Lehren hatte ich jedenfalls gezogen. Bei Ankündigung von schlechtem Wetter nahm ich meine Tablette gegen Seekrankheit. Und dann ging es.

Zum Schluss nur noch folgendes: Als ich mal das Kielschwein füttern sollte (Auftrag vom Koch), war ich hellhörig geworden. Aber dies wäre eine andere Geschichte. Vielleicht erzähle ich Euch diese ein anderes mal….

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